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Wir verlassen den Torres del Paine Nationalpark an einem sonnigen und sehr, sehr windigen Tag - das gleiche Wetter, wie bei unserer Ankunft im Nationalpark. Zu unserer Freude fängt direkt außerhalb der Parkgrenzen die Teerstraße an. Habe ich schon erwähnt, dass die Schotterstraßen im Park eine glatte Katastrophe waren? Es geht an einem See vorbei und ich sehe im Rückspiegel das schöne Torres Massiv. "Babes, halt mal kurz an. Ich muss noch schnell ein Abschiedsfoto machen.", sage ich zu Helen. Sie biegt auf einen kleinen Parkplatz am See ab. Ich öffne meine Tür und bemerke, wie extrem windig es ist. Der Windschatten von W2 muss herhalten, um die Kamera ruhig zu halten und ich stelle dabei fest, dass das Warnschild an unserem Ersatzreifen hinten kurz vor dem Abfliegen ist. Der Seitenwind ist so heftig, dass ich es nicht wieder richtig befestigen kann. Ich gebe Helen die Anweisung mit dem Rücken zum Wind zu fahren, damit ich das schnell machen kann und es gelingt mir dann auch das Schild wieder zu befestigen.
Anschließend öffne ich die Beifahrertür. Der Wind reißt sie mir fast aus der Hand. Ich halte mich mit beiden Händen am Innengriff fest und meine Hauslatschen rutschen im Seitenrandkies. Tür-Surfen á la Kirsten! Helen sieht mich die Tür aufmachen und dann rutsche ich mit Affengeschwindigkeit an der Türöffnung vorbei. Ich befürchte schon, dass die Tür aus den Angeln bricht und schaffe es mit eigener Kraft nicht, sie zu schließen. "HELP!!!", schreie ich laut. Helen muss aber erst den Motor ausstellen und die Handbremse anziehen - nicht das W2 noch ins Rollen kommt, wenn wir beide draußen sind. Mit vereinten Kräften wuchten wir die Tür wieder zu und steigen dann beide auf der weniger vom Wind verwehten Fahrertür ein. Puh!!!!
Ich stelle drinnen fest, dass ich mir den Daumen leicht verstaucht habe und mir das Schultergelenk weh tut. Und zu allem Überfluss ist das Foto vom See mit dem Torres Massiv auch nicht gerade doll und kann gleich wieder gelöscht werden. Affenaufwand für nichts! Wir müssen uns aber trotzdem totlachen! Der Wind hier in Patagonien ist schon was besonderes. Was wohl die Bauarbeiter am Straßenrand von uns gedacht haben?
Der Asphalt hält auch nur einige Kilometer an, dann beginnt erneut eine üble Schotterpiste, die bis zur Grenze anhält. Rüttel, schüttel ... Für den Grenzübergang benötigen wir anschließend aber keine 30 Minuten und in Argentinien auf der berühmten Ruta 40 begrüßt uns wieder eine tolle Teerstraße. Wir übernachten auf einem Hotelparkplatz in Esperanza. Nachts gehen die Temperaturen unter Null Grad. Brrrrr! Wir schmeißen die Heizung an.
Am nächsten morgen tanken wir voll und bemerken, dass der Dieseltank unterm Fahrzeug eindeutig leckt. Tropf, tropf, tropf ... müssen wir uns da Sorgen machen? Explosionsgefahr? Hmmmm ... wir gehen besser in El Calafate mal in eine Werkstatt. Erneut strahlt die Sonne vom Himmel und durch die Kälte ist die Luft Glasklar. Kurz vor El Calafate können wir in der Entfernung sogar Mt. Fitzroy erkennen. Von El Calafate aus sind das noch locker 200km Luftlinie.
In El Calafate müssen wir erst einmal einkaufen gehen. Durch den Grenzübergang und die lange Zeit im Torres del Paine Nationalpark sind unsere Vorräte aufgebraucht. Endlich wieder Argentinische Facturas - das ist das Kleingebäck für nur 5 Pesos (30 Euro Cent) pro Stück. Inzwischen liebe ich die Buttercroissant und Helen die Vanillecreme-Kopenhagener. In Chile gibt es die nicht und wir haben uns dort mit Kuchen sehr schwer getan.
Bei der Feuerwehr bekommen wir sehr gutes und kostenloses Trinkwasser. Die Touristen-Information im Ort ist dafür weniger freundlich und nur mit Mühe können wir uns die Infos zum Perito Moreno Gletscher zusammenreimen. Die Wettervorhersage für morgen ist allerdings sehr gut und so beschließen wir spontan zum Gletscher rauszufahren. Innerhalb der Nationalparkgrenzen darf man nachts nicht mehr stehen, aber Gabi und Manfred haben uns den Tipp für einen kleinen Stellplatz nahe des Parkeingangs per Email geschickt. Da ist zwar ein No-Camping-Zeichen angebracht, aber wir ignorieren das einfach mal, denn von El Calafate sind es gut 47km bis zum Parkeingang und von dort sind es nochmals 32km bis zum Gletscher. Und wir wollen um 8 Uhr morgens zur Parkeröffnung gleich vor Ort sein.
Wir stehen also entsprechen früh auf und es ist noch fast dunkel, als wir den Parkeingang erreichen. Wir sind das erste Auto an diesem Morgen. Während Helen die 260 Pesos pro Person (ca. 17US$) für uns bezahlt, steige ich aus und laufe schon einmal zu Fuß durch die Absperrung, denn am Himmel werden Dunkelrote Wolken sichtbar. Ein fantastischer Sonnenaufgang startet den Tag für uns. Leider ist der Sonnenaufgang schon weg, als wir 32km später den Moreno Gletscher erreichen. Während Helen noch eine Tasse Tee genießt, schnappe ich mir schon einmal die Kamera.
Wir waren 2002 auf unserer Kumuka-Tour schon einmal hier. Damals war die Straße von El Calafate zum Gletscher noch eine ruppige Schotterstraße. Unser Bus hatte gleich zwei Platten und auf dem Rückweg musste sogar ein anderes Fahrzeug geordert werden, damit wir wieder zu unserem Hotel zurückkamen. Heute ist nicht nur die Straße komplett geteert, es hat sich auch vieles am Gletscher verändert. Die Parkplätze sind viel größer, es gibt Restaurants und einen 4km langen Besichtigungssteg aus Stahl mit Tausenden von Treppenstufen, der die komplette Breite des Gletschers abdeckt, sodass man ihn von allen Seiten bewundern kann.
Es sind nur ganz wenige Menschen so früh vor Ort und in der Morgenstille hört man das Krachen des Gletschers ganz besonders laut. Hört sich an wie Gewehrschüsse! Der Perito Moreno Gletscher ist der wohl mit Abstand am einfachsten zu erreichende und zu beobachtende Gletscher der Welt. Die Gletscherfront ist ca. 5km breit und zwischen 50 und 70 Meter hoch. Der gesamte Gletscher hat vom Patagonischen Eisfeld her etwa eine Länge von 30km. Die Eismassen bewegen sich täglich um ca. 2,2 Meter nach unten und kalben in den Lago Argentino - dem größten See in Argentinien. Ein Beweis dafür, dass die Gletscher hier zu Urzeiten um einiges größer waren, als heute. Ständig brechen an der Front große Eisbrocken ab. Das zu Fotografieren ist aber reine Glückssache. Meistens hört man rechts oder links ein lautes Tosen. Hat man den Ort der Aktion auf der 5km breiten Front entdeckt, sieht man häufig nur noch die Flutwelle im Wasser, denn das Geräusch ist zeitversetzt.
Da wir den ganzen Tag vor Ort sind, bekommen wir ein Gefühl dafür, auf was man achten muss. Unten bricht meistens zuerst ein kleines Stück ab. Kamera anschalten, fokussieren und Finger auf dem Auslöser positionieren!!! Augen auf der Stelle behalten. Sekunden später passiert entweder gar nichts, oder das Ganze kommt ins Rutschen. Wir bekommen gleich zweimal so einen tollen Moment von Anfang an mit. Klick, klick, klick ... Mehrfachbilder-Einstellung ... ganz wichtig!!! Helen ist anschließend sauer, dass ich den ersten Abrutsch nicht auf Video habe! Es la vida, querida! Ihr gelingt später aber noch ein Video von einem riesigen Abrutsch direkt vor unseren Augen. Allein die Flutwellen anschließend sind gewaltig. Die Aussichtsboote im Lago Argentino halten vorsichtshalber einen gebührenden Abstand zum Gletscher.
Kalbender Perito Moreno Gletscher
Wir laufen über den Tag verteilt alle Abschnitte des Besichtigungssteges ab und machen zwischendrin Pausen im Winnietwo, um was zu essen und zu trinken. Es ist ziemlich kalt und wir tragen Fleece-Mützen und Handschuhe und mehrere Jacken übereinander. Morgens ist es noch leicht bewölkt, ab Mittag kommt aber langsam die Sonne durch und der Gletscher wechselt seine Blaue Farbe je nach Sonnenstand. Am Himmel bilden sich interessante Wolken. Ich bin im Siebten-Fotografier-Himmel!
Moreno Gletscher - 360° Panorama
(mit gedrückter Maus über das Panorama fahren oder auf die Pfeiltasten klicken)
Plötzlich spüre ich im Nacken einen leichten Stich. Ich fuchtele mit der Hand und wische eine Biene weg. Meine Fleece- und Windstopperjacken haben beide einen hohen Kragen und die Biene verschwindet zwischen meinen Schulterblättern unter den Jacken. Ich bemerke das erst gar nicht, aber auf einmal sticht das Vieh mir richtig in den Rücken, direkt neben die Wirbelsäule. Ich schreie auf und schmeiße meine Kamera auf den Steg. Dann entledige ich mich hektisch meiner Klamotten. Windstopper runter, Fleecejacke runter, Rollkragenpullover hinten hoch ... ich habe darunter nichts mehr an und kann gerade noch verhindern, dass anderes Passanten meinen nackten Busen sehen. Die Biene hängt noch zwischen den Schulterblättern und Helen wischt sie weg. Zum Glück bleibt der Stachel nicht hängen, aber in Sekunden habe ich eine große Beule, die unglaublich weh tut. Scheiße! Fast jedes Jahr werde ich von einer Biene gestochen. Ob in den Fuß, oder direkt unterm Busen, in die Hand ... alles schon dagewesen. Gut, dass ich nicht super allergisch bin!
Wir bleiben bis zum Sonnenuntergang. Den ganzen Tag über waren die Wolken über dem Gletscher schon faszinierend. Um 19.20 Uhr wird es dann bunt. Außer uns ist nur noch eine Amerikanische Gruppe mit Profi-Fotografen vor Ort. Die Wolkenbilder sind gigantisch! Starke Windböen erzeugen Ziehwolken, die sich Orange-Rot färben. Man hat fast den Eindruck, ein Vulkan bricht aus. Wahnsinn!
Sonnenuntergang am Moreno Gletscher - 360° Panorama
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Im Dunkeln fahren wir dann die 32km wieder zurück und parken erneut nahe der Parkgrenze. Ein toller Tag! Das hat sich wirklich gelohnt, dass wir noch einmal diesen Abstecher gemacht haben.
Die nächsten zwei Tage verbringen wir in El Calafate. Wir geben unsere Wäsche in einer Lavanderia ab und zahlen mit umgerechnet 20US$ einen horrenden Preis dafür - das Dreifache wie normal. Touristen-Preise in einem Touristen-Ort!
Dann bringen wir W2 in eine Autowerkstatt. Señor Cacho, unser Mechaniker und Besitzer der Werkstatt, ist 73 Jahre alt und sehr erfahren. Er will seit Jahren in Rente gehen, aber keiner seiner Söhne will die Werkstatt übernehmen und er scheint der einzige gute Mechaniker in EL Calafate zu sein, denn den Tipp haben wir aus iOverlander und wir können die positiven Kommentare nur bestätigen. Pedantisch überprüft er 75 Minuten lang unseren Dieseltank, die Dieseltankpumpe und alle Verbindungen zum Motor. Wir lernen u.a., dass der Zugang zur Dieseltankpumpe unter einer Matte in der Fahrerkabine ist. Praktisch, denn von unten kommt man da nicht ran. Seine Untersuchung ergibt, dass die Schweißnaht am Dieseltank Korrosion aufzeigt und sich klitzekleine Löcher gebildet haben. Eine Explosionsgefahr besteht nicht, da die Dieseltankpumpe in Ordnung ist. Da die Schweißnaht im oberen Drittel des Tanks ist, sollten wir am besten den Tank nur noch Dreiviertel voll machen, dann bleibt der Dieselpegel unterhalb der Naht und es tropft nicht. Der Tank ist 17 Jahre alt und müsste irgendwann mal ausgetauscht werden, aber vermutlich bekommen wir den nur in San Carlos de Bariloche. Aber wir werden ihn bei unserer Wiederkehr im Herbst nach Argentinien versuchen mit einem Zweikomponenten-Kleber wieder zu versiegeln.
Wir sind beruhigt und halten anschließend noch einen privaten Plausch mit seiner Frau, die uns stolz Bilder von ihren Kirschbäumen zeigt. Die beiden besitzen ein Grundstück in Los Antiguos - ein berühmtes Kirschanbaugebiet in Argentinien weiter nördlich.