25. - 30.12.2016: Paso del Agua Negra - Valle del Elqui - Vicuña - Puclaro Damm

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Nach einer super ruhigen Nacht auf der YPF Tankstelle frühstücken wir gemütlich und gehen anschließend in den kleinen Shop, um das WiFi dort zu nutzen. Helen ruft kurz ihre Familie in England an und wünscht Frohe Weihnachten.

Gegen 10.30 Uhr machen wir uns auf zum Argentinischen Grenzposten. Wir sind auf 1890 Höhenmetern. Ausstempeln der Pässe und die Abgabe des Fahrzeugpapiers sind innerhalb von 10 Minuten erledigt. Eine Fahrzeugkontrolle findet nicht statt. Dafür haben wir extremen Westwind und der Staub der Schotterstraße wirbelt um uns herum. Die ersten 35km gehen durch plattes Land stetig leicht bergan und da die Straße gerade eine große Baustelle ist, wechseln sich Schotterbelag und alte Teerstraße ständig ab. Trotzdem kommen wir gut voran. Nur wenig Verkehr ist unterwegs. Kein Wunder, denn die meisten feiern wohl den 1. Weihnachtstag zuhause. Ein idealer Tag für uns zum Fahren!

Die Sonne lacht vom Himmel, aber wir können in den Bergen die ersten Wolken auf den Gipfeln entdecken. Hmmm ... seit Tagen haben wir klaren Himmel, aber ausgerechnet heute kommen die Wolken. Na ja, jetzt sind wir aus Argentinien ausgereist und müssen über den Pass. Die Passkontrolle auf der Chilenischen Seite liegt 90km hinter der eigentlichen Grenze zwischen den beiden Staaten - den 4765m hohen Agua Negra Pass, von dem wir ebenfalls noch ca. 90km entfernt sind. Der in den Anden gelegene Pass ist der höchstgelegene Grenzübergang zwischen den beiden Staaten. An ihm wurde seit 1947 gearbeitet, erstmals eröffnet wurde die Straße im Jahr 1965. Zwischen 1977 und 1994 blieb der Pass jedoch geschlossen - von 1976 bis 1983 regierte in Argentinien die Militärjunta, in Chile übernimmt General Pinochet in einem Militärstreich 1973 die Regierung und bleibt bis 1989 an der Macht.

34km hinter dem Argentinischen Grenzposten kommt noch einmal ein Schlagbaum (auf 2900m). Hier gibt man das Grenzpapier mit den beiden Stempeln ab. Von nun an fahren wir auf einer sehr schönen, neu ausgebauten Asphaltstraße durch das enge Tal. Helen atmet durch und wir genießen die Fahrt. Gegen 12 Uhr finden wir einen Pullout (3100m) und machen eine Mittagspause. Wer weiß, wie uns weiter oben die Höhe bekommt und wie schnell wir voran kommen.

35km vor dem Pass fängt dann aber wieder die Schotterstraße an. Auf 4095m kommen wir an einem Schild vorbei. Es weißt auf das Tunnelprojekt hin. In den nächsten Jahren soll von hier aus in mehr oder weniger direkter Linie ein Tunnel nach Chile rüber gebaut werden, der die vielen scharfen Serpentinenkurven weiter oben obsolet machen wird und die Passage über den Pass für das ganze Jahr garantiert. Der Pass wird großteils von Argentiniern genutzt, um an der chilenischen Küste ihre Ferien zu verbringen. Im Moment ist der Pass nur zwischen Mitte November und Mitte April geöffnet, da hier im Winter bestimmt zu viel Schnee liegt. Wer will in diesen Höhen schon täglich Schnee räumen?

Wir sind jedenfalls froh, dass der Tunnel noch nicht fertig ist (das wird sicherlich auch noch Jahre dauern), denn die restlichen 21km bis zum Pass sind einfach spektakulär! Auf 4285m beginnen die ersten Büßerschneefelder. Man nennt sie hier "penitentes", da sie wie aufgereihte Mönche mit ihren Gewändern aussehen. Uns erinnern sie eher an den Ku Klux Klan, aber das ist wahrlich kein schöner Begriff für diese fantastisch geformten Schneefelder. Wind und Sommerschmelze formen diese bizarren Schneespitzen und wir steigen mehrfach aus, um Fotos zu machen. Ich vergesse in meiner Begeisterung total in welcher Höhe wir uns bereits befinden, merke aber nach den ersten Laufschritten schnell, das die Luft hier etwas dünner ist.

Winnietwo fährt an den Büßerschneefeldern vorbei - 360° Panorama
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Komischerweise geht es mir in der Höhe besser, als noch im Flachland. Ich bin nämlich heute morgen mit Kopfschmerzen aufgewacht - vermutlich Dehydration. Die Kälte und die unglaublich frische Luft tun mir aber gut, und die Kopfschmerzen sind weg. Wir laufen inzwischen mit unseren Thermohosen und Fleecejacken rum, denn der Wind ist eisig. Die Temperaturen liegen hier oben bei ca. 4 bis 7°C.

Leider kommt die Sonne nur noch ganz selten mal durch die dunklen Wolken. Die Berghänge hier sind wunderschön in ihren vielen bunten Farben und die Aussicht ist fantastisch. In langen Serpentinen schlängelt sich die Schotterstraße Stück für Stück nach oben. Winnietwo macht das alles mit Links. Ab und an müssen wir mal rechts ran, um Verkehr an uns vorbei zu lassen, aber es geht entspannt zu und die wenigen Fahrzeuge nehmen gegenseitig Rücksicht auf den jeweils anderen. Wir sind das einzige Wohnmobil weit und breit, ansonsten nur Pickup-Trucks und PKWs auf der Strecke.

Serpentinen auf dem Weg zum Paso del Agua Negra (Argentinische Seite) - 360° Panorama
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Kurz vor dem Paso del Agua Negra fängt es an ein wenig zu schneien. Hier und da kommt im starken Wind mal ein Flöckchen angeflogen, aber wir müssen uns keine Sorgen machen, dass wir in einen schweren Schneesturm geraten. Dafür ist der Wind viel zu stark und die Wolken ziehen zügig über unsere Köpfe hinweg.

Wir sind stattdessen endlich in Weihnachtsstimmung und singen Weihnachtslieder. Ob in Deutsch oder Englisch ... wir kommen über die erste Strophe nicht hinaus. Wir haben den Rest der Texte total vergessen! Ob es an der Höhe liegt? Hmmm ... vermutlich eher daran, dass wir keine Kinder haben (Mama und Papa kennen solche Lieder immer in- und auswendig!) und das wir schon seit Jahren Weihnachten bei 25°C plus verbringen. Hatten wir Heilig Abend noch gut 35°C im Schatten, sind es auf dem Pass nur noch ganze 4°C. Herrlich!

Wir sind erstaunt, wie gut unsere Körper die Höhe und auch diesen gewaltigen Temperaturunterschied mitmachen. 4765m ist der Paso del Agua Negra hoch und wir fahren da mit dem Auto hoch! Unglaublich! Im Mai 2014 waren wir das letzte Mal auf über 5000m, als wir zu Fuß das Annapurna Gebirge umwandert haben. In Tibet sind wir anschließend mit dem Auto noch über den 5153m hohen Tong La Pass gefahren.

Wir bemerken die Höhe beide überhaupt nicht. Keine Atemnot, keine Schwindelgefühle, keine Kopfschmerzen ... komisch, denn wir kommen aus dem Flachland und sind Null an die Höhe angepasst. Wir machen am Pass das übliche Beweisfoto gegen 16 Uhr und fahren dann auf der Chilenischen Seite wieder runter. Die ist nicht minder spektakulär. Erneut geht es durch ein großes Büßerschneefeld. Sieht Winnietwo auf den Fotos nicht winzig im Vergleich zu den Schneewänden aus?

Die Strecke führt über endlos lange Schotterschleifen die Berghänge hinunter. Es gibt auch eine steilere Alternativroute, aber wie alle anderen Autofahrer wählen wir die etwas weniger steile, dafür längere Variante. Helen legt den ersten Gang ein und Winnietwo zuckelt gemütlich einen Kilometer und einen Höhenmeter nach dem anderen ab. Die Motorbremse funktioniert wunderbar, es droht also keine Überhitzung der Bremsen. Wir können uns an dieser tollen Aussicht nicht satt sehen. Wirklich fantastisch!


Tolle Fahrt über den Paso del Agua Negra (4765m)

Zwischendrin ist der Gegenwind so heftig, dass große Staub- und Sandwirbel über uns hinwegfegen. Hoffentlich bleibt der Lack dran! Eine große Ziegenherde versperrt uns weiter unten den Weg. Auch sie wird gerade von einem Staubwirbel überrollt - die Ärmsten! Hier und da sehen wir Holzverschläge und Ziegenpferche. Auf 4000m Höhe suchen sich die Ziegen hier was zu essen. Von wenigen Hirten und Hunden werden sie begleitet. Ansonsten lebt hier keine Menschenseele.

Bei 3300 Höhenmetern kommt die Sonne endlich wieder raus und die Berge leuchten in wunderschönen Farbtönen. Kein Wunder, dass die Hauptindustrie für Chile der Kupferabbau ist. Die vielen Rottöne in den Felsen lassen auf viele Mineralien schließen.

Farbenpracht auf der Chilenischen Seite - 360° Panorama
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Gegen 19 Uhr erreichen wir einen Stausee und finden eine breite Bucht neben der Schotterstraße. Wir beschließen die Nacht hier zu verbringen, denn wir sind kaputt. Helen musste sich über Stunden auf der teilweise sehr engen Passstraße voll konzentrieren, wir haben seit mittags nichts mehr gegessen und bis zum Chilenischen Grenzposten in Juntas Del Toro sind es noch 32km und die schaffen wir jetzt eh nicht mehr - die Grenze ist bereits geschlossen.

Ich schäle schnell ein paar Kartoffeln und hau sie in die Pfanne - Bratkartoffeln mit Spiegelei sind jetzt genau unser Ding. Es wird bitterkalt nachdem die Sonne untergegangen ist. Mit jeder Minute sinken die Temperaturen in Winnietwo. Wir sind immer noch auf 3200m und beschließen die Gasheizung anzuschmeißen. Aber wir hören kein Klicken. Was ist los? Kommt kein Gas? Wir versuchen es noch ein paar weitere Male, aber es entzündet sich nichts. Ich hole die Gebrauchsanweisung raus (auch die haben wir netterweise von Steffen und Familie geerbt!) und lese, dass es ein Batteriefach gibt, mit einer AA-Batterie, die für den Zündfunken zuständig ist. Wussten wir gar nicht! Wir hatten geglaubt, das der Strom von der Bordbatterie kommt. Helen sucht unter ihrem Sitz und findet gleich ein ganzes Paket voller neuer AA-Batterien (Danke, Steffen!!!). Wir tauschen die alte aus, aber wieder hören wir kein Klicken. Nachdem wir die Batteriekontakte reinigen, ist aber alles paletti. Die Gasheizung springt an! Wieder was dazu gelernt!

Ich lade nach dem Essen noch meine Fotos und Videos vom Tag auf den Laptop. Zig Panoramas müssen gebaut werden und das ein oder andere Bild wird auch wieder gelöscht. Draußen macht sich ein unglaublicher Sternenhimmel über uns breit. Leider sind die Windböen so heftig, dass ich gar nicht erst mit dem Stativ raus gehe.

Wir schlafen erst einmal aus. 10 Stunden lang! Der Wind hat noch einmal zugenommen und so treffen wir nach dem Frühstück die Entscheidung den Tag hier auszusitzen. Heute fährt wesentlich mehr Verkehr in beide Richtungen über den Pass und wir sehen von weitem schon die langen Staubwolken und Windwirbel. Die Sonne lacht vom Himmel, nicht eine Wolke hängt über den Bergen. Vielleicht hätten wir noch einen Tag warten sollen, aber eigentlich war es mit den dunklen Wolken und den vereinzelten Schneeflocken auch sehr dramatisch.

Wir entspannen uns also und arbeiten mal wieder an unseren Webseiten. Jetzt, wo wir unsere Kuba-Seite fertig haben, warten schon die nächsten Südamerika-Berichte auf uns. Es geht wirklich Schlag auf Schlag und wir hängen ständig hinterher.

Übernachtungsplatz beim Stausee - 360° Panorama
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Wir bereiten gerade unsere Linsensuppe vor, da kommt ein Mann mit Hund auf dem Fahrrad vorbei. Er klopft an unsere Tür und rasselt etwas auf Spanisch runter. Ich bin mitten am Kochen und kann mich nicht wirklich auf sein Gefasel konzentrieren. Irgendetwas von einem Womo, das aussieht wir unseres und schon 2 Tage hier gestanden hat. Hmmmm ... entweder war das jemand anderes oder er hat sich mit uns verzählt. Ich frage ihn, was das Problem sein und er nimmt seine Kamera raus und macht ein Foto von unserem Nummernschild. Mir kommt das komisch vor und ich frage ihn, wer er denn eigentlich sei. Er antwortet schwammig ... er arbeitet ein paar Kilometer entfernt und wird jetzt den Grenzposten anrufen, um denen unser Nummernschild zu geben. Ich zucke mit den Achseln und wende mich wieder der Linsensuppe zu. Helen macht sich Sorgen, dass wir hier im Niemandsland nicht stehen dürfen, aber wir haben weit und breit keine Hinweise darauf gesehen, dass man die Passstraße innerhalb von 24 Stunden oder so überqueren muss. Was können wir denn dafür, dass die beiden Grenzposten 180km auseinanderliegen? Fahrradfahrer schaffen den Pass auch nicht an einem Tag. Und die Argentinischen Grenzbeamten haben auch nichts gesagt.

Wir verbringen erneut eine ruhige Nacht und verlassen den Stausee um 13.30 Uhr. Vorher verstecken wir noch die restlichen Kartoffeln, Tomaten, Gurken, eine Zucchini und eine Zwiebel in unserem Geheimfach. Lebensmittel sind in Chile meistens etwas teurer als in Argentinien und wir haben schon bei den anderen Grenzübergängen nach Chile festgestellt, dass die etwas genauer hingucken.

Kaum sind wir von unserer Ausbuchtung weggefahren - heute weht übrigens nur ein leichtes Lüftchen - kommen die ersten Baustellen. Auch hier wird die Straße verbreitert und für die zukünftige Tunnelbenutzung vorbereitet. Gegen 15 Uhr kommen wir bei dem Chilenischen Grenzposten an und vor uns stehen eine ganze Reihe von Fahrzeugen. Nichts scheint sich zu bewegen. Ich steige aus und checke die Lage ab. Ja, wir müssen ein wenig warten. Vermutlich findet gerade ein Schichtwechsel statt. Während wir warten, spricht uns eine Brasilianerin an. Ihr Mann kann ein wenig Deutsch. Sie haben ihre Tochter, die in Argentinien studiert, besucht und machen einen Abstecher nach Chile.

Dann geht es auf einmal ganz schnell. Alle Autos vor uns setzen sich in Bewegung. Gleich zwei Fahrzeugspuren sind offen. Wir stellen Winnietwo ab und erledigen innerhalb von 10 Minuten den Papierkram. Die Beamten sind zackig und entspannt und keiner sagt etwas zu uns über die zwei Nächte am Stausee. Keine Ahnung, welcher Furz dem Typen mit Hund und Fahrrad gestern im Hintern hängen geblieben ist!

Bei der Fahrzeugkontrolle haben wir es gleich mit drei Beamten zu tun. Vor uns mussten schon die PKWs komplett entladen werden und die Passagiere mussten ihre Koffer und Taschen durch eine Röntgenanlage schieben. Bei uns geht das natürlich nicht und so checkt einer der Beamten jedes Schließfach, das wir so haben. Ganz systematisch und gründlich in aller Ruhe, während die anderen beiden Beamten an der Seitentür draußen hängen und mit uns ein Gespräch anfangen. Offensichtlich sind sie neugierig, wie zwei Frauen in so einem Wohnmobil leben. Gut, das unsere Unterwäsche in extra Beuteln eingepackt ist! ;-)

Unser verstecktes Gemüse finden sie nicht, im Kühlschrank geht der Käse und die hartgekochten Eier ohne Probleme durch, aber ein Paket Linsen fällt der Durchsuchung zum Opfer. Linsen hatten wir auch schon bei all den vorherigen Grenzübergängen, aber niemand wollte die bis jetzt haben. Der junge Beamte entschuldigt sich freundlich, aber Linsen sind Samen und die muss er leider konfiszieren. Wir haben kein Problem damit, kostet ja nicht die Welt und Linsensuppe haben wir ja gerade erst gegessen. Müssen wir beim nächsten Mal eben mitverstecken!!! Man wünscht uns eine tolle Zeit in Chile und wir fahren weiter. Die Brasilianer sind immer noch an der Grenze. Sie haben keinen Reisepass, sondern nur einen Personalausweis dabei, und damit haben die Chilenischen Beamten offensichtlich ein Problem.

In nur wenigen Kilometern fahren wir bis auf 1000 Höhenmeter runter. Es wird deutlich heißer hier! Die Berge sind ohne Vegetation, total kahl und ausgetrocknet, aber im Tal werden überall Weintrauben angebaut. Die unteren Hänge sind voll mit Anbaufeldern. Gazematten überdecken die Pflanzen - wir vermuten, sie dienen als Wind- und Sonnenschutz.

Wir erreichen den kleinen Ort Rivadavia und stoppen bei der hiesigen Tankstelle. Ich entleere unsere Toilette und fülle die Wasserflaschen auf. Standard-Programm, wenn wir an einer Tankstelle halten. Helen macht drinnen klarschiff und ein Hund klaut durch die offene Seitentür einen ihrer Badelatschen. Er will nur spielen, but Helen is not amused! Wir tanken noch ein paar Liter Diesel und fahren dann am späten Nachmittag ins Valle del Elqui. Das Tal ist berühmt durch die Literatur-Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral. Sie hat den für ihre deprimierenden Gedichte bekommen, ist hier aber nur geboren und aufgewachsen und später in Montegrande begraben worden. Den Rest ihres Lebens hat sie im Ausland verbracht.

Wir finden einen sehr schönen Stellplatz für die Nacht auf einem Rastplatz mit schönem Blick aufs Tal. Am nächsten Tag fahren wir bis nach Horcón weiter. Hier soll es einen interessanten Markt geben. Die Abfahrt zu dem Gelände sieht etwas steil aus und Helen hat Probleme den ersten Gang einzulegen. Seit gestern geht das schlechter und schlechter. Den Rückwärtsgang bekommen wir auch nur noch mit lauten Verschaltungsgeräusch rein. Was ist los? Ist der Motor aus, lässt es sich ohne Probleme schalten, aber mit laufenden Motor gibt es Probleme. Wir kommen nicht einmal aus dem Rückwärtsgang wieder raus, ohne den Motor erneut abzustellen.

Ich schaue mir schnell den Markt an. Der ist total kitschig und langweilig und wir drehen dann mit Mühe und Not um. Helen versucht soweit es geht im 2ten, 3ten und 4ten Gang zu fahren und rollt langsam auf jede Kreuzung zu, damit sie nicht in den ersten Gang schalten muss. So schaffen wir es bis nach Vicuña. An der Shell-Tankstelle gibt es eine Werkstattgrube und ich frage den Mechaniker dort, ob er sich unser Schaltungsproblem mal anschauen kann.

Er muss erst einmal das Schutzblech unter unserem Motor abschrauben, denn an das Getriebeöl kommt man nur von unten ran. Ich steige mit in die Grube ab und lasse mir wie immer alles erklären. Ah, da ist der Auslass für das Getriebeöl und hier ist der Stutzen, wo es eingefüllt wird. Gut, zu wissen! Das Getriebeöl ist in Ordnung. Liegt es an der Verbindung vom Kupplungsseil zum Getriebe? Helen schaltet ohne laufenden Motor alle Gänge durch und ich kann von unten sehen, das sie alle gut einrasten. Mit laufendem Motor ist das dann aber wieder ein anderer Schnack. Bis auf den 3ten und 4ten geht gar keiner rein. Vielleicht müssen wir dieses Verbindungsstück erneuern lassen. Der Mechaniker sprüht es gut mit DW 40 ein, kann aber mehr nicht machen. Dazu müssen wir in eine richtige Werkstatt im Ort. Sein Chef gibt mir die Adresse. Der Mechaniker kontrolliert nebenbei unser Motoröl, säubert den Luftfilter mit einem Hochdruckluftschlauch und das Schutzblech sieht nach der Powerwäsche auch wie neu aus! 3500 Pesos (ca. 4,50 Euro für 45 Minuten Arbeit!) berechnen sie uns. Super günstig! Und wir haben wieder viel dazu gelernt. Wir bedanken uns herzlich, auch wenn wir immer noch das Schaltproblem haben.

Es geht auf 19 Uhr zu. Die Werkstatt wird nicht mehr offen sein. Also fahren wir zum Plaza mitten in Vicuña und finden eine Parklücke im Schatten. Der zentrale Dorfplatz ist ca. 300 x 300m groß, begrünt und mit ein paar Kunstwerken versehen. Es gibt eine öffentliche Toilette und eine Bühne, auf der heute aber nichts stattfindet. Das beste ist aber das schnelle und kostenlose WiFi. Wir empfangen es wunderbar mit unserem Booster.

Da wir halb am verhungern sind, renne ich schnell zum Unimarc Supermarkt rüber und kaufe uns ein sehr leckeres gebratenes Hähnchen. Und zum Nachtisch gibt es die fantastische Orly Schokolade, die wir schon von der Carretera Austral her kennen. Im Vergleich zu Argentinien (schweineteuer!) bekommt man diese 100g Tafeln schon für knapp einen Euro. Ich glaube, es gibt acht Sorten. Helen schwört auf Orange, ich auf Trüffel und als Alternative ist bei uns immer die Pfefferminz-Schokolade im Kühlschrank. Sie schmeckt ungelogen wie After Eight. Köstlich! Wenn es schon keine Dominosteine, Lebkuchen oder Marzipanstollen zu Weihnachten gibt, dann muss wenigstens ein leckeres Stück Schokolade her, oder?

Die Nacht am Platz ist erstaunlich ruhig. Vicuña ist ein Touristenort, der vor allem von Chilenen besucht wird. In dieser Gegend gibt es mehrere Pisco-Distillerien, Sternwarten, Weinkellereien und auch das Dorf selbst hat was. Wandmalereien verzieren die ein oder andere Hausfassade und an der Ecke vom Plaza stehen sich die schöne Kirche und der Bauer-Turm gegenüber. Der Turm wurde 1905 vom damaligen Bürgermeister Bauer aus Holz gebaut. Seine Vorfahren kamen aus Deutschland.

Ich hole uns am nächsten Morgen beim Chileexpress erst einmal Geld. Wie immer klappt der Western Union Transfer wunderbar. 1000 Kanadische Dollar entsprechen gut 482.000 Chilenische Pesos. Ich bekomme 10.000er und 20.000er Scheine und die Dame am Schalter bittet mich nachzuzählen. Hinter mir steht eine Schlange von Kunden und als ich das Geld in meine Hosentaschen stopfe, klopft mir eine ältere Dame auf die Schulter. Sie beugt sich zu mir und sagt mit ganz leiser Stimme "Cuidado!" Ich lächle sie an und sage ihr, dass wir immer sehr vorsichtig sind. Keine Sorge! Chilenen sind wirklich ein sehr nettes Volk. Man merkt ihnen an, dass der Wohlstand hier im Lande recht hoch ist. Das sieht man schon an den modernen Autos. Wir merken das auch an den Preisen, die auf dem Kanadischen Niveau sind - also relativ hoch.

Ich nehme mir anschließend die Zeit im Internet nach unserem Schaltungsproblem zu gucken. Im Deutschen Ducato Forum werde ich fündig. Jemand anderes hatte exakt das gleiche Problem und eine der Antworten, war die Nachfrage nach dem Kupplungspedal. Ist das noch auf der selben Höhe, wie das Bremspedal? Helen, kannst du mal eben unser Kupplungspedal anschauen! Tatsächlich, das Pedal hängt gute 2cm unter dem Bremspedal. Ich lese weiter. In diesem Fall sollte man das Kupplungsseil spannen. Helen, kannst du mal unser Ducato-Buch rausholen und das Kapitel für das Kupplungsseil öffnen. Ich lese weiter und sehe das der Fahrer mit dem Problem ganz unten eine Antwort rein gestellt hat. Kupplungsseil wurde gespannt, Pedal ist wieder auf der richtigen Höhe, alle Gänge lassen sich mit und ohne laufenden Motor problemlos schalten! Sollte das die Lösung sein? Klingt fast zu einfach.

Ich schnappe mir das Buch, mache vorne die Motorhaube auf, sehe die beiden Kontermuttern, die das Kupplungsseil spannen und bin dann erst einmal auf der Suche nach dem richtigen Werkzeug. Helen nimmt im Fahrerraum platz, während ich versuche die Muttern zu lösen. Ich bekomme keine der beiden Muttern locker. In welche Richtung muss ich drehen? Drehe ich nach oben, kann Helen schon sehen, dass sich das Kupplungspedal hebt, aber da ich die Muttern nicht locker bekomme, rutscht das Seil wieder in die alte Position. Ich gebe erst einmal auf und laufe zur Werkstatt runter. Ja, wir können morgen früh vorbei kommen. Super!

Wir verbringen also noch einen Tag und eine zweite Nacht mitten in Vicuña am Dorfplatz - ein wirklich idealer Ort! Sehr sicher und alles in Laufweite. Was will man mehr? Ich schnappe mir die Kamera und laufe durch die Straßen, um hier und da ein Foto zu schießen. Helen schreibt an unserer Webseite, ich tausche später mit ihr den Platz und wir beantworten auch das ein oder andere Weihnachts-Email, dass uns in den letzten Tagen erreicht hat. Meine Mutter hat heute ihren 70igsten Geburtstag und wir singen ihr per Skype ein Ständchen vor.

Am nächsten Morgen fahren wir dann zur Werkstatt runter. Innerhalb von 10 Minuten ist das Kupplungspedal neu eingestellt. Ich lasse mir vom Mechaniker die Drehrichtungen für die Muttern zeigen und Helen strahlt anschließend über alle Backen ... wir können wieder ohne Probleme schalten. 5000 Pesos müssen wir allerdings für diesen Kurzeinsatz berappen - aber die etwa 10 Euro sind das Gelernte schon wieder wert. Das nächste Mal können wir dann selbst das Kupplungsseil neu spannen.

Wir können unser Glück kaum fassen. Helen hatte schon Alpträume - muss eine neue Kupplung oder gar ein neues Getriebe her? Steffen, unser Vorbesitzer, musste letztes Jahr ja das komplette Getriebe aus Deutschland nach Chile schicken lassen, da der 5te Gang nicht mehr ging. 5 Wochen haben sie darauf gewartet und konnten nicht weiterfahren. Jetzt muss sich Helen nur noch an das höhere Pedal wieder gewöhnen. Auf den ersten Metern waren ein paar Känguru-Sprünge angesagt! ;-) Wir können nicht einmal sagen, ob das Pedal bei unserer Übernahme des Fahrzeugs letztes Jahr schon unterhalb des Bremspedals war. Da wir in den letzten 13 Jahren nur Automatik gefahren sind, müssen wir jetzt erst einmal alles neu zu diesem Fahrzeug lernen. Na ja, das hält die Spannung und den Blutdruck hoch.

Wir machen eine kleine Testfahrt und fahren zur Pisqueria Aba raus. Sie liegt nur wenige Kilometer außerhalb von Vicuña. Es ist ein kleiner Familienbetrieb, der 1921 von der selben Familie gegründet wurde. Die Tour ist im Vergleich zu anderen Pisquerias kostenlos. Wir sind eine kleine Gruppe: zwei Chilenen, vier Franzosen und wir.

Unser Tourguide spricht für uns in einem sehr langsamen und damit verständlichen Spanisch. Pisco ist ein bedeutendes Nationalgetränk. Die Herkunft dieses Getränkes steht nicht 100%ig fest - Chile und Peru streiten sich darüber. Aber wer Südamerika bereist, der sollte auf jeden Fall einen Pisco Sour probieren. Er wird aus 40%igen Pisco, Zucker und Zitronensaft hergestellt und schmeckt sehr gut. Knallt auch ganz schön!!!

Pisco wird aus weißen Weintrauben gefertigt. Leider ist die Ernte erst im Februar oder März und so können wir die Herstellung im Moment nur theoretisch erlernen. 50 Hektar Weinreben gehören zur Pisqueria Aba. Hier werden zwei Sorten von Pisco produziert. Der reine Pisco besteht aus nur einer Weißweinrebe und der Pisco Fuegos aus fünf verschiedenen Reben.

Nach der Ernte werden die Weintrauben zu Most in großen Betonkesseln gestampft. Der Most wird dann in die großen, 30.000 Liter fassenden, Behälter gepumpt. Dort trennt sich der Weinsaft von den festen Bestandteilen, wie Haut und Stängel, innerhalb von 8 Stunden. Der Saft wird weitergeleitet in andere große Behälter. Ohne Zusatz von Hefe oder Chemikalien findet hier 50 Tage lang die Fermentierung statt. Die festen Bestandteile werden als Dünger für die Weinberge verwendet.

Nach der Fermentierung wird der Saft bei 85°C in Metallbehältern destilliert. Dabei entstehen Gase wie Ethanol, Propanol, Methanol usw. Diese werden anschließend in einem weiteren Behälter abgekühlt. Ein Maßstab misst den Alkoholgehalt und per Handschaltung wird das reine Ethanol in große Holzfässer abgeleitet. Die anderen Gase wie Propanol und Methanol (giftig!) werden in andere Auffangbehältern geleitet, die zu Spezialfirmen transportiert und dort entsprechend entsorgt oder zu anderen Produkten umgewandelt werden.

Das Ethanol (El corazón - das Herz, wie unser Tourguide uns zu verstehen gibt) wird nun zwei Jahre lang in Fässern aufbewahrt. Nach der Destillation hat es einen 72%igen Alkoholgehalt. Nach und nach wird dieser mit purifizierten Wasser verdünnt, bis der Alkoholgehalt bei 40 Prozent liegt. Nun kann der Pisco in Flaschen gefüllt und verkauft werden. Für den Pisco Fuegos kommt noch ein Jahr Lagerung in speziellen Eichenfässern aus Frankreich hinzu. Wir dürfen an dem Fasspropfen mal riechen. Boah, Feuerwasser!

65.000 Flaschen werden hier pro Jahr produziert. Viele davon gehen nach Kanada, USA und Großbritannien. Aba hat sich einen Namen in diesen Ländern gemacht und das Flaschendesign und die Verpackung haben schon mehrere Preise gewonnen - siehe die feurige Sexbombe auf der Fuegos Flasche! Welchem Mann wird da nicht warm ums Herz - mit oder ohne 40% Alkoholgehalt! Okay, die ein oder andere Frau guckt auch genauer hin! ;-)

Natürlich probieren wir anschließend die verschiedenen Varianten. Ein Mango- und ein sehr süßer Beerensaft mit jeweils einem Schuss Pisco machen den Anfang. Dann folgt der reine Pisco. Der ist uns schon zu stark und so verzichten wir gleich auf den Pisco Fuegos. Habe ich schon erwähnt, dass wir heute morgen keine Zeit zum Frühstücken hatten? Alkohol auf leeren Magen! Oh, oh! Unter den Testflaschen steht auch ein Kaffeelikör a la Bailey's. Na, dass ist doch was für uns alte Schabracken! Ob wir den mal probieren dürfen? Die beiden anderen Französischen Damen nicken auch ganz begeistert, ihre Männer halten sich eher zurück. Unser Tourguide holt eine gekühlte Flasche raus und macht sie extra für uns auf. Dieses Produkt ist erst seit einem Jahr im Programm und ist normalerweise nicht Teil des Probierens.

Wir lassen dieses Mal den Probierbecher auffüllen. Nix mit "poco, por favor!". Und was sollen wir sagen, ist genau unser Ding! Nicht ganz so feurig! Der Likör geht sanft die Kehle runter. Eben was für Frauen! Für 7000 Pesos (ca. 10 Euro) schlagen wir zu! Wir trinken ja sonst wirklich ganz wenig Alkohol, aber bestimmt kommen wieder kalte Nächte auf uns zu und dann haben wir was leckeres zum Aufwärmen. Leicht beschwipst steigen wir wieder in unser Zuhause. Helen muss sich gut konzentrieren und fährt langsam wieder nach Vicuña.

Wir machen auf dem Weg einen kurzen Stopp bei der Shell-Tankstelle und ich berichte dem Chef vom Mechaniker, dass wir wieder ohne Probleme schalten können. Er freut sich sichtlich und wünscht uns weiterhin eine gute Reise.

Mittags finden wir rund um den Plaza in Vicuña nicht einen Parkplatz, also nutzen wir den vom Unimarc Supermarkt. Helen geht einkaufen, während ich versuche ins Internet zu kommen, aber alle Verbindungen sind zu schwach. Helen kommt nach gut 40 Minuten zurück. Hungrig und beschwipst einkaufen gehen, hat natürlich seine Folgen. Zwei Dosen Chips, drei Tafeln Schokolade, zwei Tüten Gummibeeren, mit Vanille gefüllte Windbeutel, Donuts und einen Marzipankuchen für mich. Okay, beim letzteren konnte ich natürlich nicht mehr so grimmig gucken. ;-)

Immerhin hat sie auch noch ein paar gesunde Sachen in den Einkaufstaschen: Tortillas, Vollkornbrötchen, Karotten, Joghurts, Tomaten am Strauch, eine große Paprika usw. Wir machen uns einen Cappuccino und hauen uns die Vollkornbrötchen rein. Anschließend finden die Donuts und Windbeutel auch noch irgendwie ihren Weg in unsere Mägen. Vollgestopft fahren wir noch einmal zum Plaza und erledigen schnell unsere letzten Emails.

Am späten Nachmittag verlassen wir Vicuña und fahren nur ganze 20km weiter zum Puclaro Staudamm. Laut iOverlander soll man hier beim Mirador gut die Nacht über stehen dürfen, aber das ist leider nicht mehr so. Die Schranke zur Hauptstraße wird ab 18 Uhr geschlossen und aus Sicherheitsgründen darf auch keiner mehr hier oben parken. Ich erfahre das alles von einem älteren Herren, der für die Damm-Administration arbeitet. Er hat aber nichts dagegen, wenn wir unten auf der Seitenstraße zu den Admin-Gebäuden die Nacht über stehen. Okay, dann machen wir das. Ein anderer Besucher des Damms überhört unser Gespräch und er sagt, dass wir auch überall am Fluss unten freie Stellplätze ohne Probleme finden.

Aber die Seitenstraße am Damm ist optimal für uns - weg von der Hauptstraße, kein Verkehr und direkt am Fluss. Kurz bevor wir ins Bett gehen, klopft es an unsere Hintertür. Ein Auto mit Blaulicht hat hinter uns geparkt. Es sind die Wachleute für den Damm. Ich sage dem jungen Beamten, dass uns jemand von der Administration die Erlaubnis zum Parken hier gegeben hat. Kein Problem, bestätigt er. Er möchte sich allerdings meinen Namen, meine Reisepassnummer und unser Nummernschild notieren. Für den Fall der Fälle, dass es nachts ein Problem gibt, händigt er mir seine Telefonnummer. Ist es nicht sicher hier, frage ich ihn. Doch, doch! Er schüttelt mir die Hand, wünscht uns eine gute Nacht und weg sind sie wieder. Wir vermuten, dass wir bei einer möglichen Terrorattacke auf den Damm, im Gefängnis gelandet wären, aber die Nacht ist total ruhig.